GEPLANTE MOTORRAD-FAHRVERBOTE IN HOLZMINDEN 2024 : „PILOTPROJEKT MOTORRADLäRM“ AUSGEBREMST

Die im niedersächsischen Landkreis Holzminden angedrohten 90 Dezibel Standgeräusch-Grenzwert für Motorräder sind inzwischen vom Tisch. Allerdings wurden diverse andere verkehrsberuhigende Maßnahmen beschlossen, unter anderem Streckensperrungen für Motorräder an Sonntagen. Dagegen regt sich ebenfalls Widerstand – per Petition. Der für den 1. April 2024 geplante Start des "Pilotprojekts Motorradlärm" wurde wenige Tage zuvor überraschend gestoppt. MOTORRAD hat alle Details und Hintergründe gesammelt.

Paukenschlag in Holzminden im Januar 2024: In einem überraschenden Schritt hat sich die örtliche Kreisverwaltung gegen die zuvor dort geplante Einführung des "Tiroler Modells" mit Standgeräusch-Grenzwert ausgesprochen. Damit sind die 90 Dezibel vom Tisch. Somit könnte sich der niedersächsische Landkreis ein für alle Mal von den massiv kritisierten Vorschlägen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) verabschieden – wenn auch leider nicht von allen. Fragwürdige Entwicklungen – gefolgt von überraschenden Wendungen.

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"Pilotprojekt Motorradlärm" kann nicht wie geplant starten

Die neueste der überraschenden Wendungen verkündete der Landkreis Holzminden am 28. März 2024, am Gründonnerstag: "Das ab 1. April geplante Projekt zur Eindämmung des von Anwohnern des Landkreises Holzminden monierten Lärms durch Motorräder startet am Ostermontag nicht. Hintergrund ist, dass das Niedersächsische Wirtschafts- und Verkehrsministerium als oberste Straßenverkehrsbehörde einige Fragen zum Projekt aufgeworfen hat, die noch geklärt werden müssen. Das Projekt beinhaltet mehrere Verkehrsmaßnahmen inner- wie auch außerorts, bei denen sowohl Geschwindigkeitsbeschränkungen als auch alternierende sonntägliche Streckensperrungen für eine Lärmentlastung sorgen sollen. Zuletzt hatte der Kreistag im Januar einen entsprechenden Beschluss gefasst und das Straßenverkehrsamt nach mehreren Verkehrsschauen vor Ort entsprechende Anordnungen vorbereitet. Diese Anordnungen unterliegen derzeit der Prüfung durch das Ministerium." Welche Punkte da offenbar immer noch ungeklärt sind, ist nicht bekannt. Anfrage von MOTORRAD läuft.

Widerstand gegen geplante Streckensperrungen

Per Petition direkt an den Landtag von Niedersachsen haben Bürger und Bürgerinnen die Möglichkeit, direkten Einfluss auf die als "Lärmpausen" bezeichneten, geplanten Streckensperrungen im Kreis Holzminden zu nehmen. Zwar hat der niedersächsische Landkreis mittlerweile seine Pläne fallen lassen, bestimmte Strecken zeitweilig für alle Motorräder mit einem eingetragenen Standgeräusch über 90 Dezibel zu sperren, wie es die "Deutsche Umwelthilfe" (DUH) dem Kreis vorgeschlagen hatte. Dennoch sollten ab April 2024 zwei Strecken im Kreis Holzminden an insgesamt 7 Sonntagen im Jahr alternierend nur für Motorräder gesperrt werden. Der Kreis bezeichnete diese Ende Januar 2024 beschlossenen Sperrungen als "Lärmpausen".

Online-Petition lief erfolgreich bis Ende März 2024

Lärm halten auch die Verfasser der Motorradfahrer-Petition für ein grundsätzliches Problem. Sie erneuern ihr "Angebot zur Mitwirkung an der Entwicklung von Lösungen im Sinne eines fairen Interessenausgleichs", sprich, sie bieten den Dialog an, der bis jetzt nach eigener Aussage nicht mit ihnen geführt wurde: "Interessenvertreter der Motorradfahrer wurden bisher in keiner Weise in das Projekt eingebunden." Mit der Petition soll nun also im Nachhinein eine Mitwirkung der Motorradfahrer an den Entscheidungsprozessen erwirkt werden. Ziel ist, eine Aufhebung der Streckensperrungen zu erreichen.

Über 9.000 virtuelle Unterschriften

Mindestens 5.000 virtuelle Unterschriften mussten bei der Online-Petition von Mitte Februar bis Ende März 2024 zusammenkommen, und diese Zahl wurde mit 9.074 deutlich überschritten. Nun ist der niedersächsische Landtag verpflichtet, sich mit den Inhalten und Forderungen auseinanderzusetzen, und die Verfasser der Petition müssen angehört werden. Die Verfasser bilden eine Gruppe von Motorradfahrern und kommen nach eigenen Angaben aus dem Kreis der Akteure von "Hochschalten – Dialog statt Verbot", einer gemeinsamen Kampagne von sowohl etablierten wie auch neu entstandenen Motorradfahrer-Verbänden und -Organisationen in Deutschland.

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Niederlage für die Deutsche Umwelthilfe (DUH)

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH), der umstrittene Verein aus Berlin, hatte im Rahmen eines "Modellprojekts gegen Motorradlärm" für Holzminden unter anderem die Einführung von Standgeräusch-basierten Streckensperrungen nur für Motorräder vorgeschlagen, wie sie auf bestimmten Straßen in Teilen Tirols seit 2020 gelten. Für Holzminden war sogar ein deutlich schärferer Standgeräusch-Grenzwert als in Tirol geplant: 90 statt 95 dB(A). Das hätte unter anderem zur Folge gehabt, dass die "Villa Löwenherz", das älteste deutsche Motorradhotel, mit einem Großteil aller legal zugelassenen Motorräder an Wochenenden nicht mehr erreichbar gewesen wäre.

Streckensperrungen 2024 an 7 Sonntagen

Die neue, an entscheidenden Stellen geänderte Beschlussvorlage der Kreisverwaltung sieht die abwechselnde Sperrung von zwei Streckenabschnitten an insgesamt 7 Sonntagen von April bis Oktober 2024 – nur für Motorräder vor. Konkret die L 484 "Roter Fuchs" zwischen Grünenplan und Holzen sowie "Heilige Aue" zwischen Grünenplan und dem Kreisel an der L 462. Und die L 580 "Rühler Schweiz" zwischen Rühle und Golmbach. Hotels und Gastronomie würden dadurch "nicht abgeschnitten", wie es in dem Papier heißt. Zudem sind Ausnahmen für Anwohner vorgesehen.

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Tempo-30-Zonen und Tempo-40-Zonen

Zusätzlich geplant sind Tempo-30-Zonen und Tempo-40-Zonen sowie gestufte Tempolimits an Ortseingängen – für alle Fahrzeuge. Mit Bezug auf das "Tiroler Modell" und Sperrungen nur für Motorräder nach eingetragenem Standgeräusch-Wert heißt es in der Beschlussvorlage wörtlich, dass dieses "nicht umgesetzt" wird, da es "an der erforderlichen Rechtsgrundlage fehlt". Darauf hatte MOTORRAD seit Bekanntwerden der Holzmindener Pläne immer wieder hingewiesen. Ebenso darauf, dass das Standgeräusch keinen Bezug zum realen und gesetzlich geregelten Fahrgeräusch hat.

Kreistagssitzung in Holzminden am 26. Januar 2024

Die Abstimmung fand am 26. Januar 2024 in einer öffentlichen Sitzung des Holzmindener Kreistags in der Aula des Campe-Gymnasiums statt. Die zuvor veröffentlichte Beschlussvorlage wurde ohne wesentliche Änderungen und mit deutlicher Mehrheit angenommen: 19 Ja-Stimmen, 4 Nein-Stimmen und 9 Enthaltungen. Von den mit 100.000 Euro Steuergeldern finanzierten Vorschlägen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) ist somit nicht mehr viel übrig. Anwesend waren laut Peter Drews, Pressesprecher des Landkreises Holzminden, "sehr viele Motorradfahrer und der Vorsitzende des Bundesverbands der Motorradfahrer (BVDM), die allerdings auch mit den alternierenden Streckensperrungen nicht einverstanden waren".

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Das "Pilotprojekt Motorradlärm"

Es sollte erst mal nur ein regionales "Pilotprojekt" sein, begrenzt auf ein halbes Jahr. Doch es drohte, dem Motorrad-Hotel "Villa Löwenherz" für immer die Existenzgrundlage zu entziehen. Dass der beschauliche 2.400-Einwohner-Flecken Lauenförde im Kreis Holzminden im Weserbergland dann sein einziges überregional bekanntes Aushängeschild verloren hätte, war manchen Beteiligten offenbar egal. Und die wurden in dieser Angelegenheit aus Steuergeldern finanziert. Doch der Reihe nach.

Die "Deutsche Umwelthilfe" (DUH)

Am 26. Juni 2023 beschloss der Kreistag von Holzminden, die "Deutsche Umwelthilfe e.V." (DUH) mit der Umsetzung des "Pilotprojekts Motorradlärm" zu beauftragen. Finanziert mit 100.000 Euro vom niedersächsischen Umweltministerium (siehe MOTORRAD 11/2023), hatte die auch schon als "Abmahnverein" kritisierte DUH zuvor einen Maßnahmenkatalog für den Kreis Holzminden erarbeitet, der nichts Gutes für Motorradfahrer verhieß: Von April bis Oktober sollten bestimmte Strecken am jeweils zweiten Wochenende des Monats für alle Motorräder gesperrt werden – "Lärmpausen" nannte die DUH das.

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Motorrad-Fahrverbot über 90 Dezibel

An den übrigen Wochenenden sollte ein Fahrverbot für Motorräder mit einem Standgeräusch von mehr als 90 dB(A) gelten. Der Standgeräuschwert ist in den Zulassungsbescheinigungen unter U.1 eingetragen. Faktisch wäre das einer Komplettsperre für sehr viele (legale!) Motorräder an allen Wochenenden von April bis Oktober gleichgekommen.

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Motorrad-Hotel "Villa Löwenherz"

Das Motorrad-Hotel "Villa Löwenherz" liegt exakt im Kreuzungsbereich der beiden durch die "Deutsche Umwelthilfe" zur Sperrung benannten Straßen: L 550 und B 241. Mit gemütlichen Zimmern auf 2 Stockwerken sowie 3 Appartements bietet der Traditionsbetrieb (geöffnet von März bis Oktober) Übernachtungsplätze für bis zu 70 Personen, die fast alle mit dem Motorrad anreisen. Die Villa bietet in Lauenförde (saisonabhängig) Arbeitsplätze für rund 30 Mitarbeiter in Teil- und Vollzeit

"Wir sind der mit Abstand größte, um nicht zu sagen einzige Übernachtungsbetrieb im Ort. Wenn wir ausgebucht sind, und das kommt in der Saison ganz schön oft vor, vermitteln wir Gäste in andere Hotels oder Pensionen in der Gegend. Seit Bekanntwerden der Pläne zu den Motorrad-Fahrverboten im Weserbergland und auf den Zufahrtsstrecken zu uns hatten wir Buchungsstornos in Höhe von bis jetzt 13.000 Euro", sagte Stephan Pirone. Er und seine Schwester Martha sind die Betreiber der "Villa Löwenherz", die von der Website lauenfoerde.com sogar als "heute weltweit bekannt" bezeichnet wird.

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"Pilotprojekt" startete im November 2023

Tradition, Arbeitsplätze, touristische Attraktivität – für die Verantwortlichen im Kreis Holzminden schien das alles keine Rolle zu spielen. Einzig der stellvertretende Landrat Gerd Henke (Die Grünen) hatte vor der entscheidenden Abstimmung das drohende Schicksal der "Villa Löwenherz" thematisiert und angedeutet, dass allein "ein, zwei" ortsbekannte Einzelpersonen in Lauenförde Stimmung gegen Motorradfahrer machen würden. Sein Einwand blieb zunächst erfolglos. Der Antrag, das "Pilotprojekt" zu starten, wurde angenommen. Am 9. November 2023 fand eine "erste initialisierende Sitzung mit der DUH" und dem Landkreis statt.

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Das "Tiroler Modell"

Dass das sogenannte "Tiroler Modell", also ein auf dem Standgeräusch basierendes Fahrverbot, in Deutschland nicht einfach von einer Kommune eingeführt werden kann, wie Holzminden das jetzt plant, das haben Verwaltungsprofis vor Ort längst festgestellt: "Die Chancen, dass das (Standgeräusch-Fahrverbot, Red.) auf kommunaler Ebene durchgesetzt werden könnte, werden (…) vonseiten der Verwaltung als gering eingeschätzt", berichtete das Westfalen-Blatt schon am 25.3.2021 aus Holzminden.

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Streckensperrungen für Motorräder

Im selben Artikel wurde die Lauenförderin Edith Götz mit der Forderung zitiert, "Streckensperrungen als Pilotprojekt" einzurichten – damit seien eventuelle juristische Klagemöglichkeiten erst einmal eingeschränkt, sagte die CDU-Politikerin, die vielen als Drahtzieherin der Holzmindener Anti-Motorrad-Kampagne gilt. Übersetzt heißt das: Nur ein "Pilotprojekt", das vordergründig zur Datenerhebung dient, hat die Chance, eine Saison lang die erwartbaren Gegenklagen zu überstehen.

Kein Hotel, keine Motorradfahrer – und umgekehrt

Vielleicht war das im Gesamtplan sogar miteinkalkuliert: kein Hotel, keine Motorradfahrer – und umgekehrt. Dem Holzmindener Landrat Michael Schünemann (parteilos) müssen die möglichen Folgen klar gewesen sein. Er enthielt sich in der entscheidenden Sitzung der Stimme. Begründung: Er sei auch "1. Vorsitzender der Weserberglandtouristik". Und die DUH? Die antwortete auf MOTORRAD-Fragen, etwa nach der Rechtsgrundlage, ausweichend bis gar nicht.

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Gegen-Resolution in Lauenförde

Ende 2023 regte sich Widerstand: Der Rat des zu Holzminden gehörenden Fleckens Lauenförde erklärte in einer Resolution einstimmig, die geplanten Sperrungen "kategorisch" abzulehnen und kündigte an, "rechtliche Schritte zu prüfen, um die Interessen der Einwohner und Einwohnerinnen zu schützen". Dabei geht's auch um Gastronomie und Hotellerie, etwa um die "Villa Löwenherz". Der für Lauenförde zuständige Bürgermeister, Tino Wenkel, hatte bereits im Interview mit MOTORRAD deutlich gesagt, dass er das geplante Motorrad-Fahrverbot nicht unterstützt.

Online-Petition gegen das geplante Fahrverbot

Parallel dazu hatte Motorradfahrer Thomas Sabath eine Online-Petition gestartet: Hier lagen Mitte Januar 2024 bereits über 34.000 virtuelle Unterschriften vor. Auch die großen Motorradfahrer-Verbände planen Gegenmaßnahmen.

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Das Standgeräusch als Grenzwert

Das in Dezibel angegebene Standgeräusch findet sich unter U.1 in der Zulassungsbescheinigung. Es dient der Polizei bei einer Kontrolle als Richtwert, ob das Auspuffgeräusch im Rahmen des Erlaubten liegt (Messung erfolgt in der Regel bei halber Nenndrehzahl). Das Standgeräusch selbst ist nicht limitiert. Das bedeutet, dass kein Standgeräusch illegal sein kann. Und das Standgeräusch steht in keinem direkten Zusammenhang zum gesetzlich limitierten Fahrgeräusch.

Keine Rückschlüsse auf das Fahrgeräusch

Die Höhe des Standgeräusch-Werts erlaubt also keine Rückschlüsse auf die Höhe des Fahrgeräuschs. Das hat sowohl die Bundesanstalt für Straßenwesen höchst offiziell bestätigt wie auch MOTORRAD mehrfach mit Messungen belegt. Dabei war eine KTM 1290 mit dem niedrigsten Standgeräusch im Testfeld bei der Beschleunigung übrigens mit Abstand am lautesten (MOTORRAD 15/2021, S. 8, 36).

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