RENAULT 16 TX (1975): SITZPROBE IM KLASSIKER

Der legendäre Franzose machte das Schrägheck in der Mittelklasse salonfähig.

Rennsportlegende Stirling Moss nannte den Renault 16 "das am intelligentesten konstruierte Automobil", das er je gesehen habe. Die Zeitschrift "mot Auto-Kritik" verspürte gar "eine Ohrfeige für die deutsche Automobiltechnik" und erhob ihn euphorisch zum "neuen Maßstab" für die Branche. Tatsächlich ist die Premiere des Renault 16 im März 1965 nichts weniger als eine Revolution, denn der Franzose bricht mit allen Konventionen der damaligen Autowelt.

Der weitsichtige Renault-Präsident Pierre Dreyfus, der bereits den Renault 4 initiiert hat, bittet im Sommer 1961 die Leiter der Entwicklungsabteilung zu sich ins Büro. Sein Auftrag: der Bau eines Familienautos komplett neuer Art. Es soll elegant wie eine Limousine sein, dabei geräumig und wandlungsfähig wie ein Kombi, denn große Familien, so seine Rechnung, brauchen viel Platz. Um den Fond uneingeschränkt zu nutzen, setzt Dreyfus voll und ganz auf Frontantrieb. Ansonsten haben die Entwickler freie Hand.

Entwicklung in Rekordzeit

Der 31-jährige Gaston Juchet zeichnet im Spätsommer 1961 den wegweisenden Entwurf für einen Viertürer mit Schrägheck und je drei Seitenscheiben, die Geburtsstunde des wegweisenden Renault-16-Konzepts. Die Entwicklung erfolgt in der Rekordzeit von nicht einmal vier Jahren. Parallel dazu errichtet Renault für den Renault 16 in nur 18 Monaten in Sandouville bei Le Havre ein komplett neues Werk. Die Serienfertigung des Newcomers startet im Januar 1965, seine Messepremiere hat der Renault 16 zwei Monate später auf dem Genfer Auto-Salon.

Die Maße des Neulings: 4,24 Meter Länge, 1,65 Meter Breite und 1,36 Meter Höhe, dazu serienmäßig vier Türen, wenn die große Kofferraumklappe hinzugezählt wird, sogar fünf. Das Presseecho: überwältigend. "Sieg der Vernunft: innen größer als außen", jubelt die Zeitschrift "hobby".

Tatsächlich fällt der Renault 16 nicht nur mit seiner Heckklappe aus dem Rahmen. Auch der lange Radstand und das Dach tragen zum unverwechselbaren Erscheinungsbild bei. Die hochgezogenen Karosseriekanten sind mehr als nur ein Design-Gag. Sie verleihen dem Fahrzeug eine ausgezeichnete Verwindungssteifigkeit – und dies trotz fehlender Querwand zwischen Passagierabteil und Kofferraum.

Vor allem aber besticht der Renault 16 durch eine bis dahin nicht gekannte Innenraumvariabilität. Die Sitzlandschaft lässt sich in insgesamt sieben Positionen an die unterschiedlichsten Situationen anpassen. Wer viel zu transportieren hat, kann das Fondgestühl umklappen, um bis zu 15 Zentimeter nach vorne schieben oder ganz ausbauen. Hierdurch wächst das Ladevolumen von 346 auf 1.200 Liter.

Eine weitere – heute aus der Mode gekommene – Konfiguration erlaubt es, die Rückenlehne der Fondbank unter den Dachhimmel zu hängen, während das Sitzkissen nach vorne gekippt und von hinten an die Vordersitze gelehnt wird.

Der Beifahrer kann zwischen zwei Liegekombinationen für seinen Sitz wählen, eine für unterwegs, die andere für das Nickerchen auf dem Rastplatz. Und in der „Mama“-Position rückt Mutti – so wollen es die Namensgeber – den Beifahrersitz auf Tuchfühlung an die Fondbank, so dass der schlafende Sprössling bei einer Vollbremsung nicht in den Fußraum purzelt. Apropos Nachwuchs: Bei den 68ern galt der R16 als beliebte erotische Spielwiese.

Ein Detail wissen vor allem Männer, die Hut tragen, zu schätzen: Dank der hohen Türausschnitte und der stattlichen Innenraumhöhe können sie im Wagen Platz nehmen, ohne Gefahr zu laufen, dass ihnen der Dachholm die Kopfbedeckung vom Haupt rasiert.

Auch an solche Details wie die solide Kofferraumabdeckung hat Renault gedacht. Sie beugt dem Eindruck vor, in einem schnöden Kombi zu sitzen, der damals noch ein reines Nutztier ist.

Weiteres durchdachtes und komfortables Detail: Die in Deutschland nahezu ausschließlich nachgefragte Ausstattung "Grand Luxe" verfügt über eine Mittelarmlehne mit praktischem Ablagefach. Sie erlaubt jene unverwechselbar lässige Renault 16 Fahrer-Haltung, die auch zum Gangwechsel nicht aufgegeben werden muss. Denn geschaltet wird grundsätzlich am Lenkrad. Dazu kann der Ellbogen weiter auf der Armstütze ruhen.

Das wollen wir im Hier und jetzt knapp 60 Jahre später einmal ausprobieren. Anlässlich der Vorstellung des neuen Symbioz (dazu bald mehr) hat Renault einen 16 TX von 1975 mitgebracht. 1.065 Kilogramm schwer, dazu 93 PS aus 1.647 ccm Hubraum und fünf Gänge. Gut, eine Ausfahrt ist nicht drin, aber eine Sitzprobe.

Was fällt auf? Weiche, aber gemütliche Sitze. Natürlich die Lenkradschaltung. Und die Rundinstrumente. Frühe 16 hatten noch eine Art Bandtacho. Tür zu - das klingt durchaus solide. Abtauchen in die 70er: Vorne auf dem Armaturenbrett befindet sich ein Aschenbecher, in den hinteren Türen jeweils einer. Man greift zeittypisch in ein großes dünnes Lenkrad und staunt über die tolle Rundumsicht.

Zugegeben, das Platzangebot hinten und der Kofferraum sind nach heutigem Maßstab Durchschnitt. Aber damals brauchte es dafür meist einen Kombi. Und vergessen wir nicht, dass der R16 etwas kürzer als ein aktueller VW Golf ist.

Renault 16 TX (1975)

Renault 16 TX (1975)

Moderner Motor in Aluminiumbauweise

Antriebstechnisch hat der Renault 16 ebenfalls Wegweisendes zu bieten: Unter der Haube beherbergt er den ersten komplett aus Aluminium gefertigten Motor von Renault. Anfangs mobilisiert der Leichtmetall-Vierzylinder 55 PS aus 1.470 ccm Hubraum. Im Lauf der Zeit steigt die Leistung auf 93 PS in der 1973 vorgestellten Spitzenversion TX. Damit verbunden ist ein stetiges Hubraumwachstum auf bis zu 1.647 Kubikzentimeter.

"In Bezug auf Laufruhe, Elastizität und Leistungsverhalten gehört der Motor zum Besten, was heute in der Vierzylinder-Mittelklasse existiert", lobt "auto motor und sport" damals das Aggregat, das später in leistungsgesteigerter Form auch in den Sportwagen Renault Alpine A110 und A310 Motorsportgeschichte schreiben wird.

Nur ein Prototyp: Der Renault 16 als Coupé

Der Vierzylinder ist wie beim R 4 weit in Richtung Wagenmitte nach hinten verschoben eingebaut. Davor haben die Entwickler das Getriebe montiert. Es handelt sich um ein Front-Mittelmotor-Prinzip, nur 55 Prozent des Gesamtgewichts lasten auf der Vorderachse.

Ein Auto, zwei Radstände

Vom R 4 erbt der große Bruder auch die Drehstabfederung. Diese sorgt nicht nur für einen ausgezeichneten Federungskomfort, sondern trägt auch zum guten Ladevolumen des Renault 16 bei, weil keine störenden Federdome in den Kofferraum ragen. Kurioser Nebeneffekt dieser Lösung: Der avantgardistische Gallier hat links einen um 67 Millimeter längeren Radstand als rechts. Bei eindrucksvollen 2.717 bzw. 2.650 Millimetern fällt dies indes nur dem äußerst geübten Auge auf.

Erfolg auf ganzer Linie

Die Mischung aus Variabilität, Wirtschaftlichkeit und Oberklasse-Gefühl zieht beim Zielpublikum: 1966, im ersten vollen Verkaufs jahr, setzt Renault allein in Frankreich von seinem neuen Topmodell 68.916 Fahrzeuge ab. Bis 1969 steigt die Zahl auf 92.488 Autos. Weltweit verkauft Renault in jenem Jahr 179.991 Renault 16, eine Zahl, die 1970 sogar noch überboten wird, als 193.698 Fahrzeuge das Werk Sandouville verlassen.

Zu diesem Boom trägt auch die Wahl des R 16 zum "Auto des Jahres" 1966 durch 32 europäische Fachjournalisten bei. Auch die Einführung des stärkeren TS-Modells 1968 mit 83 PS und der Automatikversion 1969 mit 67 PS kurbelt den Absatz an.

Zum Modelljahr 1971 erlebt der R 16 sein erstes Facelift: Der Wagen erhält unter anderem größere und rechteckige Heckleuchten, die außerdem etwas tiefer platziert sind. Die Basisversion leistet jetzt 67 PS wie zuvor beim Automatikmodell.

Die Modellpflegemaßnahmen halten die Karriere im Schwung: Anfang 1972 rollt in Sandouville der einmillionste Renault 16 vom Band. Längst wird das Erfolgsmodell zu diesem Zeitpunkt nicht mehr nur in Frankreich gebaut. Montagewerke finden sich in 14 weiteren Ländern der Erde, darunter so entfernten Welt gegenden wie Trinidad, Venezuela, Madagaskar und Australien.

Klassik und Moderne bei Renault:

1975 präsentiert Renault auf dem Genfer Automobilsalon den designierten Nachfolger Renault 20, auch er mit Schrägheck. Für den Renault 16 bedeutet dies jedoch noch nicht das Aus, denn eine Vielzahl eingeschworener Fans hält ihm nach wie vor die Treue. Allein 1976 werden weltweit 103.179 Renault 16 verkauft. Renault produziert deshalb beide Modelle vier Jahre lang nebeneinander. Im Januar 1980 macht der 16 nach 1.845.959 produzierten Exemplaren dann endgültig der jüngeren Generation Platz.

2024-04-26T17:23:33Z dg43tfdfdgfd